Nazena - Drunten

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Nazena
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Nazena - Drunten

Beitrag von Nazena » Sa 16. Jun 2012, 21:58

Drunten

Drunten durch tiefste dunkelste Schründe steig ich hinab bis zum Meer des Vergessens
In ewige Kälte getaucht ist mein Körper und Geist verzehrt sich nach dem endlosen Nichts
Mein Aug ist geblendet und schweigend vor Schrecken die Lippen versiegelt der Leib mir zerstört
Nur vorwärts ich strebe die Seele zerfetzend ein letzter Gedanke oh bitte verstummt



Dumpf klang das heisere Keuchen ihres eigenen Atems von den Wänden wieder. Unter ihren Fingerspitzen fühlte sie rauhen, abbröckelnden Stein, verschmiert mit einer zähen schleimigen Masse, die sie sich trotz allem verzweifelt wünschte sehen zu können. Die andere Hand vor sich in die undurchdringliche Schwärze gestreckt, die Augen weit aufgerissen, tastete sie sich durch die beinahe substantielle Dunkelheit. Ganz behutsam hob sie ihren Fuß, trat langsam vor und setzte ihn nahezu lautlos wieder auf. Sie atmete nur flach. Nackte Panik schnürte ihr die Kehle zu und es gelang ihr nicht die Schluchzer komplett zu unterdrücken.
Ein weiterer zögernder Schritt, platsch-platsch

platsch platsch platsch

Sie verharrte augenblicklich. Ihr Körper verkrampfte sich in ihrem verzweifelten Bemühen die Dunkelheit zu durchdringen, ganz gleich mit den Augen, den Ohren oder auf sonst eine Art und Weise. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust und übertönte jedes andere Geräusch, ob wirklich oder eingebildet.
Es dauerte Ewigkeiten, bis sie wagte sich wieder zu regen. Langsam hob sie einen Fuß aus dem fauligen Schlamm und tastete sich weiter vorwärts. Sie hörte lediglich ihren eigenen Atem.
Plötzlich war die Mauer weg. Sie taumelte überrascht, die mühsam im Zaum gehaltene Panik brach wieder durch, als sie sich ohne den geringsten Halt im Nirgendwo wiederfand. Die Mauer hatte ihr einen Bezugspunkt gegeben, den einzigen Halt, Schutz und eine Richtung.
Ihr Atem ging immer schneller und ihre Beine drohten unter ihr nachzugeben, als sie sich endlich wieder unter Kontrolle bekam und es schaffte, ein paar Schritte zurückzugehen.
Beinahe wäre sie in hysterisches Gelächter ausgebrochen. Die Mauer war noch da und, halleluja, ein trockener Gang zweigte ab! Ohne zu zögern folgte sie dem neuen Gang, wagte es sogar etwas schneller zu gehen. Sie hatte wieder neue Hoffnung geschöpft. Bestimmt war sie nahe einem Ausgang, hier musste einfach einer sein!
Sie sackte zu Boden, presste sich gegen die Mauer und biß in den zerfetzten Ärmel ihres Pullovers um ihr Stöhnen zu unterdrücken. Sie musste hier raus-
Irgendwie schaffte sie es, wieder auf die Beine zu kommen. Ihr anfänglicher Enthusiasmus beim Betreten der Abzweigung war wie weggeblasen. Angst und Verzweifelung triumphierten über zehntausend Jahre neuronale und soziale Evolution und reduzierten ihr Selbst zu einem kleinen wimmernden Tier, das schutzlos durch die Dunkelheit kroch und sich nach einem Funken Licht sehnte, um nicht vollends den Verstand zu verlieren.
Sie war nur noch zu zwei bewußten Gedanken fähig: laufen und lauschen, laufen und lauschen. Mantraartig spulten sich diese Worte immer und immer wieder in ihrem Kopf ab, im Rhythmus ihrer Schritte.

laufen lauschen

tap tap

laufen lauschen

tap tap

tap tap tap

Stocksteif verharrte sie, wagte es nicht auch nur einen Muskel zu rühren. Ihr Hals verkrampfte sich, schnürte ihr die Luft ab, vor ihren weit aufgerissenen Augen tanzten weiße Lichter. Lauschen. Nichts. Sie krallte die Hand in die Wand, ihre Fingerspitzen scheuerten über rauhen Stein und hinterließen blutige Spuren. Hatte sie sich geirrt? Voll verzweifelter Hoffnung setzte sie zu einem weiteren Schritt an.

tap

Sie hielt inne, horchte mit jeder Faser ihres Körpers.
Nichts.

tap

Stille.

tap.

Warten. Nichts. Bitte...

tap

tap

Ein leises verängstigtes Fiepen entrang sich ihrer Kehle. Ihre Augen begannen wieder zu tränen, als sie versuchte sie noch weiter aufzureißen um irgendetwas zu erkennen, doch da war nichts, und sie hätte ohnehin nicht gewagt sich umzudrehen.
Entgegen jeglicher Vernunft trat sie einen weiteren Schritt vor, hoffend, noch nicht bereit aufzugeben

tap

Stille.
Nichts.

taptaptap

Sie brach in kalten Schweiß aus, zitterte am ganzen Körper. Instinktiv krallte sie ihre Hand fester ins Gestein und spürte nicht den Schmerz in ihren blutenden Fingern. Eine warme Flüssigkeit lief ihre Beine hinab. Sie registrierte es kaum. Ihr eigener Körper ließ sie im Stich, produzierte stark riechenden Schweiß und Urin, überschwemmte ihren Blutkreislauf mit Adrenalin und ließ ihr nur noch zwei unmögliche Optionen: Kämpfen oder Fliehen. Beides war aussichtslos.
Sie trat an die Mauer, presste den Rücken gegen diese vermeintliche Sicherheit. Ihre Augen irrten blicklos in der sie umgebende Finsternis umher. Unbewusst schaukelte sie mit dem Oberkörper vor und zurück, vor und zurück und hinterließ neue Spuren am Gestein. Sie merkte es nicht. Es spielte keine Rolle mehr, nichts spielte mehr eine Rolle, sie war

taaaap

ausgeliefert, diesem

tap

Ding, dieser

tap

Kreatur, dieser

tap

unaussprechlichen Karikatur eines lebenden Wesens.

tap

Sie wollte nicht sterben.

tap

Ich will leben!

tap

Sie rutschte an der Mauer herab, fiel auf ihre eigenen verdrehten Beine, die nicht mehr die Kraft hatten sie zu tragen. Sie zog ihre verkrampften Beine an die Brust, schlang die Arme um sie, preßte die Stirn so fest sie konnte gegen ihre Knie. Ihre Lippen wiederholten immer und immer wieder die ersten zwei Zeilen eines alten Kindergebetes, das ihre Mutter sie hatte aufsagen lassen.

taaaaa...

Großer Gott Beschütze Mich Wache Immer über Mich Großer Gott Beschütze Mich Wache Immer Über Mich Großer Gott Beschütze

Dap!

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