I see a dark sail...

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minkey
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Re: I see a dark sail...

Beitrag von minkey » Do 29. Mai 2014, 12:27

AlesPickar hat geschrieben:Gibt es jemanden auf diesem Planeten, der nicht Game of Thrones schaut? Ich bin ziemlich sicher, die schauen es auf der ISS-Station und ganz sicher auf der Vostok in der Antarktis. Wäre es nicht eine logischer Konsequenz, dass der deutsche Fantasy-Markt vor rauen, feudalen Romanen und existentialistischen Themen nur so "boomt"?
Das halte ich tatsächlich für eine Fehleinschätzung. Der Erfolg von GoT mag zum Teil auch in rau, feudal, existentialistisch liegen, scheint mir aber vor allem in der Kombination mit dem ausgeprägten Soap-Charakter der Serie zu liegen. It's drama, baby. Und während bisher in Soaps Charaktere sterben, weil Schauspieler ausgewechselt werden, wird es hier zum einkalkulierten Bestandteil des Plots. Das kann man als existentialistisch ansehen, ist aber aus meiner Sicht eine dramaturgisch kalkulierte Abkehr vom vorhersehbaren und üblichen Hollywood Happy-End. Es ist vor allem diese ungewohnte Unterhaltungskomponente, die GoT erfolgreich macht und die in dieser Ausprägung auf dem Markt meines Wissens tatsächlich kein zweites Mal existiert und eben auch ein 'Wandeln auf des Messers Schneide' ist. Mir geht es auch jetzt schon so, dass ich hin und wieder die 'dramaturgische Blaupause' sehe (z.B.'der Hobbit' Tyrion), aber es ist glaubwürdig genug und tatsächlich sehr unterhaltsam.

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AlesPickar
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Re: I see a dark sail...

Beitrag von AlesPickar » Do 29. Mai 2014, 13:12

@minkey
Das halte ich tatsächlich für eine Fehleinschätzung. Der Erfolg von GoT mag zum Teil auch in rau, feudal, existentialistisch liegen, scheint mir aber vor allem in der Kombination mit dem ausgeprägten Soap-Charakter der Serie zu liegen. It's drama, baby.
Ich verstehe, was du meinst. Wenn GoT sozusagen nicht in einer "Fantasiewelt" angesiedelt wäre, sondern de facto im englischen Mittelalter des 14. Jahrhunderts (von wo es letztendlich stark entlehnt ist), dann würde es offensichtlich genauso funktionieren. Man hätte nur keine Drachen, aber die sind nicht wirklich etwas, das (in meinen Augen) etwas zu der Geschichte von Game Of Thrones beiträgt. Nicht einmal Zombies aus dem Norden, auf die Millionen Zuschauer verzweifelt seit fast 4 Jahren warten, stellen wirklich die Essenz der Story da. Die gehört in der Tat zu den Dialogen und lebensnahen Erfahrungen einzelner Protagonisten.

Ich habe die Buchvorlagen dazu nicht gelesen. Aber es fällt auf, dass auch sie (wohl bedingt durch eine hyperteure Blockbuster-Serie) außerordentlich bekannt sind. Zumindest kommt es selten vor, dass zwei bis drei Fantasy-Romane gleichzeitig in der Spiegel-Bestellerliste sind (und dann auch noch vom selben Autor). Und das ist, was ich meine: hätte es einen starken Copy-Cat-Effekt gegeben, ich wäre nicht überrascht gewesen. Aber die Masse gegenwärtigen Fantasybücher machen dann doch die Vampir-Romane und klassische High Fantasy, die im weitesten Sinne in diesem unendlichen Kielwasser von Tolkien angesiedelt ist.

Ich habe damit kein Problem. Wenn ich so darüber nachdenke: im Gegenteil. Aber ich finde es interessant, dass mir auf Anhieb außer Joe Abercrombie oder Horus eben wenig Leute einfallen, die dasselbe Feld beackern wie Martin. ABER: ich bin hierbei kein Experte. Ich bin sicher, einige hier könnten weitere Stoffe aufzählen, wo eben wenig oder kein Übersinnliches vorkommt und dafür mehr Schwert oder eben gewisse Aspekte der Lebensrealität.

Doch ich vermute, auch wenn wir hier eine stattliche Liste eines derartigen Subgenres (gibt es denn schon einen Namen dafür? Feudal Fantasy?) zusammenbringen würden, sie wäre in tiefer Unterzahl gegenüber all der Masse aus Vampirfürsten, Goblins und Magiertöchtern.

Das ist, was ich so interessant, ja sogar erstaunlich finde. Ich bin auch nicht der Meinung, dass alle jetzt nur noch über Dirnen, Verräter, Inzest, Schwertkämpfe und verhasste Mütter schreiben sollten, während all die Drachen und Elfen im Papiereimer landen. Doch erlebt man es heute selten, dass etwas ein Hype ist, aber kein Trend. Im Gegensatz zu Tolkien, der Hype und Trend war. Ein Trend unter Autoren, von dem man sich bis heute noch nicht komplett losgesagt hat. Spannend.

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Re: I see a dark sail...

Beitrag von minkey » Do 29. Mai 2014, 15:49

AlesPickar hat geschrieben:Aber ich finde es interessant, dass mir auf Anhieb außer Joe Abercrombie oder Horus eben wenig Leute einfallen, die dasselbe Feld beackern wie Martin. ABER: ich bin hierbei kein Experte. Ich bin sicher, einige hier könnten weitere Stoffe aufzählen, wo eben wenig oder kein Übersinnliches vorkommt und dafür mehr Schwert oder eben gewisse Aspekte der Lebensrealität.
Als Genrebezeichnung wird da z.B. 'gritty fantasy' genommen und für diese gibt es eine ganze Reihe Beispiele, aber man kann da sehr unterschiedliche Dinge drunter verstehen und es aus sehr unterschiedlichen Gründen mögen. Würde man Horus fragen, so würde er vermutlich z.B. bei Abercrombies First-Law-Trilogie auf die Rolle der Banken und die Verknüpfung zu Bayaz verweisen. Würde man 100 First-Law-Leser befragen, hätten wahrscheinlich über 90 davon bereits vergessen, dass überhaupt Banken in First Law vorkommen und erst Recht, dass Bayaz irgendetwas mit ihnen zu tun hat.

Tatsächlich glaube ich nicht, dass GoTs Erfolg irgendetwas mit dieser Art des Realismus in der Fantasy zu tun hat, noch mit Dirnen und Inzest und Schwertkämpfen (Verräter hingegen sind sicherlich wichtig), sondern ich meine wirklich die Art zu erzählen, wie man es von einer Soap-Serie her kennt. Sozusagen der Dallas-Effekt (ohne jemals Dallas gesehen zu haben) im Setting einer archaischen Fantasy-Welt. Es werden die Charaktere, ihre Dramatik, aber vor allem ihre Auseinandersetzung miteinander in den Vordergrund gestellt. Und tatsächlich kenne ich keine andere Fantasy-Reihe, die auf diese Weise erzählt, tatsächlich sind Fantasy-Romane üblicherweise viel mehr mit ihrem World building beschäftigt und i.d.R. nicht in der Lage derart viel Aufmerksamkeit den Charakteren und ihren Verwicklungen zu widmen. Und schon gar nicht in der Lage derart sorgfältig eingeführte Charaktere ins Gras beissen zu lassen. World building hingegen findet bei GoT sehr hintergründig statt. Und wartet tatsächlich jemand auf die Zombies? Doch höchstens als finalen Showdown, oder?
Ales hat geschrieben:Doch erlebt man es heute selten, dass etwas ein Hype ist, aber kein Trend. Im Gegensatz zu Tolkien, der Hype und Trend war. Ein Trend unter Autoren, von dem man sich bis heute noch nicht komplett losgesagt hat. Spannend.
Gritty fantasy scheint mir durchaus ein Trend zu sein. Aber gritty fantasy besitzt eben nicht automatisch den ausgeprägten Soap-Effekt von GoT. Abercrombie nicht, Horus nicht und auch die anderen, die mir so einfallen, nicht. Und natürlich wird das Ganze bei GoT durch die Verfilmung angeheizt. Und es ist eben nicht so leicht auf ein eigenes Werk zu übertragen, wie z.B. die Biss-Reihe. Und eben auch nicht so schnell mal eben durchzulesen, d.h. der Bedarf der Fans an solchen Werken ist vermutlich auch geringer.

Auch bei Harry Potter gab es nicht wirklich Nachahmer, die tatsächlich aufspringen konnten. Oder?

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Re: I see a dark sail...

Beitrag von AlesPickar » Fr 30. Mai 2014, 14:36

Sozusagen der Dallas-Effekt (ohne jemals Dallas gesehen zu haben) im Setting einer archaischen Fantasy-Welt.
Ich bin sicher, es gibt einige Millionen Westeros-Fans, den dieser Vergleich außerordentlich aufstoßen würde. Aber ich denke schon, dass das eine treffende Analogie ist. Denn schließlich sind Beziehungen und wirtschaftliche Machtspiele die zwei zentralen Themen bei "Dallas". Doch dieses Einvernehmen funktioniert nur, weil kein "die hard" Martin-Fan am Tisch sitzt. Die oder der würde uns etwas husten.
Auch bei Harry Potter gab es nicht wirklich Nachahmer, die tatsächlich aufspringen konnten. Oder?
Gut gesagt.
Shining hat Recht, es ist tatsächlich verwirrend. Band 4 gibt es dort sogar zu 2 unterschiedlichen Preisen. Da müsste dringend mal einer wieder rausgenommen werden.
Hier kann man auf die Pupille klicken und sich dann anhand der Liste orientieren: http://angelodaemonia.net

AP

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Re: I see a dark sail...

Beitrag von minkey » Fr 30. Mai 2014, 16:36

AlesPickar hat geschrieben:Hier kann man auf die Pupille klicken und sich dann anhand der Liste orientieren: http://angelodaemonia.net
Ach Du Sch...

Da fehlen ja noch 3 Bände und Du bist mit Kalion beschäftigt?! Jetzt mache ich mir ernsthaft Sorgen, stecke ja schon mitten im 5...

Shining hat die ersten 5 netterweise schon eingestellt, einfach auf fantasybuch.de nach Ales Pickar suchen. Wenn ich durch den 5. durch bin, stelle ich mal eine zusammenfassende Rezension am 1. ein. (Oder ich warte, bis ich durch den 8. durch bin... ;-) )

(Und nur fürs Protokoll: Ich mag GoT. Sogar sehr.)

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Re: I see a dark sail...

Beitrag von Horus W. Odenthal » Fr 30. Mai 2014, 18:40

Na, ihr diskutiert ja großartig miteinander.
Ohnehin ist es eine interessante Entscheidung, die SciFi-und-Fantasy-Fackel einige Meter mitzutragen. War das für dich jemals ein Problem, Horus? Ich meine damit, dass da auch mal ein Mundwinkel zucken kann und ein Stigma einprogrammiert ist. Du kennst all die Anmerkungen: keine echte Kunst, trivial, infantil, eskapistisch.

Ehrlich gesagt sind mir diese Einschätzungen immer am Arsch vorbeigegangen. Ich habe immer alles wild durcheinandergelesen, was mir gefallen hat, phantastische Genres und Feuilleton-Genres. Die einzigen Kategorien sind Bücher, die mich interessieren und solche, die es nicht tun. Wenn irgendjemand Lager aufmachen will, kann er das tun, aber ohne mich.
Es mag auch daran liegen, dass ich dadurch abgehärtet bin, dass ich vorher Comics gemacht habe. Und dagegen ist das "Stigma" der phantastischen Literatur harmlos.
Davon abgesehen ist dieses Stigma auch nicht haltbar. Ein großer Teil der sogenannten Hochliteratur ist eigentlich nur affirmative Literatur; und das ist irgendwie ja auch eine Art von Eskapismus.
In diesen Tagen müssen Phantasten, die ohne Drachen, Vampire und seitenweise trashigem Sex operieren, ohnehin zusammenhalten.
Danke, das ist richtig. Nur mit einer magielosen Welt kann ich nicht dienen. Einerseits gibt es in Ninragon auch Drachen und Elfen, nur werden sie anders interpretiert, andererseits ist meine ganze Welt, obwohl sie "realistisch" ist, von "Magie" durchdrungen. Sie ist nicht übernatürlich sondern ganz normaler Teil des Weltkonzepts; sie ist quasi Metaphysik, die wissenschaftlich erforscht und angewendet werden kann. Allerdings nur von denen, die in der Lage sind, diese Aspekte der Wirklichkeit wahrzunehmen, weil sie die entsprechenden Voraussetzungen haben. Wie alles andere muss sie aber Gesetzen gehorchen, Naturgesetzen, insofern ist auch sie neu interpretiert. Hexodus hat dafür den tollen Begriff Fantasy-Cyberpunk gefunden.

Ich bin sehr gespannt auf "In den Spiegeln". Es hätte nicht der Empfehlung von minkey gebraucht, um es ganz oben auf meinem SuB liegen zu lassen.

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Re: I see a dark sail...

Beitrag von AlesPickar » Fr 13. Jun 2014, 08:02

Danke, das ist richtig. Nur mit einer magielosen Welt kann ich nicht dienen. Einerseits gibt es in Ninragon auch Drachen und Elfen, nur werden sie anders interpretiert, andererseits ist meine ganze Welt, obwohl sie "realistisch" ist, von "Magie" durchdrungen.
Das hatte ich schon nach wenigen Kapiteln entdeckt. Aber mit einer "magielosen" Welt kann ich auch nie dienen. :-) Sonst gäbe es irgendwann gar keinen Grund mehr, es Fantasy zu nennen. Es ist interessant, den Lesern bei fantastischen Phänomenen oder märchenhaften Elementen eine eigene, mehr rationale Interpretation anzubieten. Doch dies auch subtil und zurückhaltend genug zu gestalten, so dass sie das Angebot nicht annehmen müssen. Es ist dann kein Dilemma für den Leser, sondern nur eine Entscheidung. Auch ich kann mich entscheiden (und mich wieder umentscheiden).

Somit ist es nicht "festgelegt" (auch nicht für mich), ob In den Spiegeln nun einfach in einer fantastischen modernen Märchenwelt angesiedelt ist, oder lediglich im Kopf eines entflohenen Psychiatriepatienten passiert. Oder gar mit etwas "Quantenfluktuation und überwundener Dekohärenz" vollkommen rational erklärt werden kann.

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Re: I see a dark sail...

Beitrag von AlesPickar » Fr 13. Jun 2014, 08:15

Da fehlen ja noch 3 Bände und Du bist mit Kalion beschäftigt?! Jetzt mache ich mir ernsthaft Sorgen, stecke ja schon mitten im 5...
Ich hatte nach all den Jahren mit Jan-Marek Sehnsucht nach einem Tapetenwechsel. Ich dachte damals, ich schreibe etwas Kuzweiliges, das einfach und linear ist... Das war natürlich ein Irrtum. Zum einen ist Fantasy hintergründlich nie einfach, wenn sie ein vollständiges Bild vermitteln soll, und zum anderen liegt mir "einfach" nicht wirklich.

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Re: I see a dark sail...

Beitrag von minkey » Fr 13. Jun 2014, 23:22

Na, so oder so, ich bin gespannt, wie es mit 'In den Spiegeln' weitergeht und was Kalion zu bieten hat.
Ales Pickar hat geschrieben:... und zum anderen liegt mir "einfach" nicht wirklich.
Was Dich vermutlich eine ganze Reihe Leser kosten wird, aber mir jedenfalls gefällts.

Zu 'In den Spiegeln' habe ich den Versuch einer Rezension eingestellt, aber Hexodus muss sie noch freischalten, dann wird sie für alle sichtbar.

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Re: I see a dark sail...

Beitrag von AlesPickar » Mi 18. Jun 2014, 06:34

Was Dich vermutlich eine ganze Reihe Leser kosten wird
Da hast du recht. Ich sehe das mehr wie einen Marathon. Man bringt über einen deutlich längeren Zeitraum (als man es mit einem 90-Seiten-Urlaub-Roman täte) eine engagierte Gruppe aus Lesern zusammen. Aber langfristig ist der Effekt größer, als mit einem Schnellschuss.

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