Nazena - Der Aberglaube der Ratten

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Nazena
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Nazena - Der Aberglaube der Ratten

Beitrag von Nazena » Sa 16. Jun 2012, 21:58

Der Aberglaube der Ratten


Ein dunkler Fleck an der Decke. Er wächst. Feuchtigkeit schiebt sich langsam, Millimeter um Millimeter in den helleren Beton. Ich kann es nicht sehen- zu langsam, doch jedesmal, wenn ich die Augen wieder öffne, haben sich die Umrisse ein winziges Stückchen weiter auf mich zubewegt. Ganz langsam bildet sich im Zentrum des unregelmäßigen Kreises ein weiterer winziger Tropfen, dehnt sich nach unten aus und verliert letztendlich den Kampf gegen die Schwerkraft.
Plop.
Der Tropfen trifft auf den Boden. Ich kann ihn nicht sehen, doch ich höre wie er auf den Betonboden fällt. Draußen wird es regnen.
-.-.-.-.-
Mein Atem klingt sehr laut in meinen Ohren. Ich meine, ihn von den Wänden widerhallen zu hören, besonders mit geschlossenen Augen.
Plop.
Hundertneunundsiebzig.
Ein.
Aus.
Ein.
Aus.
Zwölf Atemzüge, manchmal dreizehn oder vierzehn, selten elf.
Plop.
Ich mache mir nicht die Mühe die Augen zu öffnen.
-.-.-.-.-
Da ist dieses leise Rascheln, mein Atem auf meiner Kleidung. Der dunkle Fleck ist größer geworden, doch er scheint heller. Der dunkel Fleck heller, und ganz am Rand meiner Sicht, dunkler. Vielleicht ist die Glühbirne kaputt, ich sehe lauter weiße Funken.
-.-.-.-.-
Ich rieche das Wasser. Ein bißchen erdig-gammelig, und den muffeligen Geruch des Betonfußbodens. Mein Hemd ist nass. Die Plops müssen sich getroffen haben. Der Regen verstärkt die übrigen Gerüche, die beiden stärksten - scharf der eine, metallisch der andere. Meine Hemd ist nass, von oben und unten. Ich hasse es in nassen Klamotten zu liegen.
Mein Atem raschelt auf meinem Hemd. Es nervt. Ich will den Kragen wegziehen, greife nach meinem Hals-
-.-.-.-.-
Weiß. Alles weiß. Und Schmerz, scharfer Schmerz. Doch ich atme….
Ein ………… Aus….……... Ein…………..Aus………..
Und meine Hand bleibt wo sie ist.
-.-.-.-.-
Da ist ein Fleck an der Wand- Decke. Ein Fleck an der Decke und ich liege darunter.
Plop.
Zweihundertund-?
Ich glaube meine Hand tut weh.
Und mein Kragen raschelt immer noch, jetzt sogar hinter meinem Kopf.
Verdammt.
-.-.-.-.-
Ich liege auf dem Boden. Durch mein nasses Hemd spüre ich deutlich die Kälte. Friere ich? Meine Hände zittern, jedes Vibrireren ein scharfer Ruck in meinen Armen. Meine Brust hebt sich und senkt sich im Rhythmus meines Atems. Ganz- langsam. Im Kreis atmen. Nicht- die Brust bewegen. Es raschelt hinter meinem Kopf und ich verdrehe die Augen. Nichts. Den Kopf kann ich nicht bewegen. Er würde mir abfallen.
Raschel.
Ich muss-
Plop.
Zweihundertdreizehn
-wissen was das ist. Wenn ich mich ganz schnell umwälze, ganz schnell-
-.-.-.-.-
Das kann nicht meine Hand sein. Kein Teil meines Körpers würde mich so verraten. Aber es raschelt nicht mehr hinter meinem Kopf. Gut. Kein Rascheln hinter mir. Hand tut weh. Arm. Beine- nein. Die Beine tun gar nichts.
Scheiße.
Jetzt raschelt es an der Wand. Vielleicht, wenn ich den Kopf nur ein kleines bißchen drehe, nur ein ganz kleines bißchen ganz langsam-
-.-.-.-.-
Es raschelt schon wieder- immer noch. Ganz weit weg ein anderes Rauschen- ein Zug. Menschen. Und es raschelt hier. Menschen.
"Hilfe".
Ich kann meine eigene Stimme nicht hören, und plötzlich da fürchte ich-
"Hilfe?"
Dass nur die Raschler mich hören.
Etwas huscht an der Wand entlang.
Plopp.
Zweihundertachtundachtzig.
Raschel.
Der Fleck wird immer größer.
-.-.-.-.-
Jetzt sind es zwei. Zwei Raschler. Den einen kann ich ganz deutlich sehen, da sitzt er an der Wand, und der andere raschelt hinter mir. Feigling. Du auch, Wandraschler. Starrst mich an mit Deinen schwarzen Augen, hockst auf Deinem fetten Hintern und weißt nicht wie gut es Dir geht. Ja, heb Dein Bein, Dein Bein, das sich so gut bewegt. Kratz Dich an der Nase. Ich sehe Dich und Du weißt das genau, oder? Du lachst über mich, Du und Dein Hinterkopfraschlerkollege. Ihr wollt, dass ich mich bewege, dass ich hinter euch hergucke, wenn ihr raschelt und wuschelt und euch an die Mauer drückt, und dann Schmerz und Schmerz und Schmerz. Das wollt ihr doch, oder?
Glotz nicht so!
Ich weiß es, ich sehe es in Deinen hinterlistigen schwarzen Augen. Ich behalte Dich im Auge und bewege mich nicht, dann tut es nicht weh. Nicht du, Du wirst nicht gewinnen, nein, nicht so-
-.-.-.-.-
Plopp.
Zweidreivielehundertmehr.
Ich behalte dich im Auge, dunkler Fleck, Du wächst mir nicht davon. Ich bleibe hier liegen und behalte Dich im Auge, ich kann das gut du wirst schon sehen. Du auch, Wandraschler. Ich weiß, Du bist noch da. Und Hinterkopfraschler auch. Und Verstärkung, Tunnelraschler. Zweidreivielehundertmehr Tunnelraschler. Und alle heben ihre Beine. Und alle kratzen sich an der Nase.
Ihr seid so unglaublich dumm, wisst ihr das? Vom Nasekratzen gibt es kein Futter, keins vom Beineheben. Ihr hebt die Beine, weil ihr abergläubisch seid. Das habe ich gelesen! Wenn Laborratten im Käfig den Knopf drücken und dabei das Bein heben und es kommt Futter, denken sie beides muss sein- Bein und Knopf. Aber das stimmt nicht! Es ist dummes abergläubisches Verhalten! Es ist nur der Knopf, es ist immer nur der Knopf, hört ihr? Das Bein zu heben ist dumm, davon kriegt ihr kein Futter, davon wird es nicht besser. Der Aberglaube bringt euch nicht aus dem Käfig raus, und darum sind wir draußen, weil wir nicht abergläubisch sind. Wir wissen, dass es vom Bein heben nicht besser wird.
-.-.-.-.-
Ich glaube jetzt friere ich doch . Meine Hände zucken immer mehr und meine Augen auch. Die Blitze tanzen heftiger und heftiger, sie verstecken dunkler Fleck. Blitze, geht da mal weg, dunkler Fleck will abhauen. Ich muss ihn sehen, versteht ihr? Er ist da, dunkler Fleck ist als einziger da und sonst ist nichts an der Decke, versteht ihr? Wenn dunkler Fleck abhaut, kann ich nicht mehr zu ihm hingucken.
Bitte?
-.-.-.-.-
Dunkler Fleck ist immer noch da und Wandraschler und alle anderen abergläubischen Raschler auch. Aber ich kümmere mich nicht darum. Ich bleibe einfach so liegen. Wenn ich mich nicht bewege, dann ist da kein Schmerz. Wenn kein Schmerz ist, ist alles gut. Wenn alles gut ist, werden sie mich finden- Hilfe. Sie werden mir helfen, wenn alles gut ist. Kein Schmerz. Ganz ruhig. Im Kreis atmen. Atmen raschelt an Hemd und Raschler raschelt hinterm Kopf.
Wenn ich mich nicht bewege wird alles gut. Wenn ich mich nicht bewege wird man mich finden. Wenn ich mich nicht bewege werde ich gerettet. Wenn ich mich nicht bewege werde ich gerettet. Wenn ich mich nicht bewege werde ich gerettet
Es ist der Knopf und nicht das Bein
Wenn ich mich nicht bewege ist es das Bein
-.-.-.-.-
Ich kann mich nicht bewegen.
Ich darf mich nicht bewegen.
Ich werde mich nicht bewegen.
Denn dann ist kein Schmerz da.
Dann ist alles gut.
Hallo?
Kann mich jemand hören?
Bitte?
Die abergläubischen Ratten… der Aberglaube der Ratten bringt mich um-
-.-.-.-.-
-.-.-.-
-.-.-
-.-
-
.

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Mystera
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Re: Nazena - Der Aberglaube der Ratten

Beitrag von Mystera » So 17. Jun 2012, 08:24

Hm... irgendwie auf seine Art fesselnd.
Gefährlich ist's, den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn,
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn. (Schiller)

http://www.buechertreff.de/user/13191/buecherregal/

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Nazena
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Re: Nazena - Der Aberglaube der Ratten

Beitrag von Nazena » So 17. Jun 2012, 16:08

Danke.

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SaskiaNene
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Re: Nazena - Der Aberglaube der Ratten

Beitrag von SaskiaNene » So 12. Aug 2012, 13:58

Hallo Nazena,

sehr nachvollziehbar und lebendig geschrieben. Ich sah beim Lesen den Fleck regelrecht wachsen.
Ich hörte in einer TV-Doku, dass von einem Menschen die nächste Ratte nie weiter als durchschnittlich 5m entfernt ist. Das ist nicht gerade sehr beruhigend.

Nette Grüße

Saskia
Und nun gib doch endlich zu, dass ich klüger bin als du.

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